Große Theaterexkursion Ruhr 2012
Presseartikel
Von Krefeld bis Bochum, von Düsseldorf bis Oberhausen - 30 Bayreuther Theaterwissenschaftler erkunden die Kultur- und Industrielandschaft an Rhein und Ruhr. Produktionsbedingungen und Kulturpolitik, so lautete das Thema der diesjährigen Theaterexkursion. Wie wird Theater hergestellt in Zeiten knapper werdender öffentlicher Mittel? Keine andere Region scheint geeigneter dieser Frage nachzugehen als das Ruhrgebiet. Hier greift bereits seit Jahrzehnten ein massiver Strukturwandel von der Montanindustrie um Kohle und Stahl hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Theaterhäuser reagieren mit sehr unterschiedlichen Strategien und Kooperationen auf diesen Wandel, teils sehr erfolgreich, teils in ständiger Bedrohung ihrer Existenz. In zahlreichen Gesprächen mit Intendanten, Schauspielern, Dramaturgen und Kulturpolitikern zeichneten sich faszinierende Bilder und tiefe Einsichten davon ab, welche kulturelle Funktion und welche Ästhetik Theater in Zeiten der Krise haben kann.
Die diesjährige Exkursion ging auf eine Initiative des Studenten im BA Theater- und Medien Jan Niklas Wilken zurück, der selbst in der Region beheimatet ist. Seine Idee, einmal nicht in eine Kulturmetropole zu fahren, sondern stattdessen eine Kulturregion wie das Ruhrgebiet zu bereisen, fand sofort Zustimmung bei Prof. Ernst. Damit war zugleich auch die Dramaturgie dieser Exkursion bestimmt. Es sollte neben dem Besuch verschiedener Aufführungen auch um die Erforschung von Theaterstrukturen gehen.
Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass es gerade im Ruhrgebiet internationale Highlights der Theater- und Musiktheaterszene zu bestaunen gibt - man denke nur an die Veranstaltungen der Ruhrtriennale, die Ruhrfestspiele oder das Programm rund um die 'Kulturhauptstadt Europa' - aber es sollte diesmal gerade nicht darum gehen, den Trend zum internationalen Festival unreflektiert mitzumachen. Das faszinierende Thema dieser Exkursion zeichnete sich vielmehr dort ab, wo die Verknüpfung von Theaterhäusern zu lokalen Kulturszenen sichtbar wurde und wo man gewissermaßen mit einer Geschichte und Gegenwart konfrontiert wurde, die immer schon die bürgerliche Kultur mit der Migranten - und Arbeiterkultur, das kulturelle Zentrum mit der Brache hart aneinander geschnitten hat.
Zum Beispiel das Theater in Duisburg. In eigenen Recherchen hatten die Studierenden die Geschichte des Hauses erforscht. Seine Erbauung ging zurück auf die Initiative privater Finanziers, die in der Gründerzeit und der Hochzeit der Stahlindustrie Duisburg zu einer blühenden Stadt machten und zudem ein einflussreiches Musik- und Opernpublikum bildeten. Die Duisburger Philharmoniker legen von diesem Willen zur bürgerlichen Kultur noch heute Zeugnis ab. Sprechtheater wurde bis zum zweiten Weltkrieg dann auch nur in Kooperation mit Häusern in Essen und Bochum betrieben, das Musiktheater ist noch heute als Deutsche Oper am Rhein mit dem Haus in Düsseldorf liiert. Vor Ort dann bekamen die Studierenden eine Führung durch den Intendanten Michael Steindl. Sie erfuhren von der besonderen Gesellschaftsform, mit der dieses Haus als Unterabteilung des städtischen Kulturamtes betrieben wird. Sie sahen und spürten allerdings auch, was es bedeutet, in einem voll ausgestatteten Theater zu sein, dem gewissermaßen das Ensemble fehlt. Hebewerke, Beleuchtung, Ton und Bühne - alle Technik ist da. Jedoch gibt es vorrangig Gastspiele und es wird nicht selbst produziert. Das prägt einen Ort wie Duisburg.
Umso schöner war es dann, wenn Steindl von seinen eigenen Initiativen im Bereich Jugendtheater erzählte oder im Gespräch zu Ingrid Lausunds Inszenierung "Zeit - Die erschöpfte Schnecke wirft ihr Haus weg und flippt richtig aus"die Aktivitäten des Hauses in der Ko-Produktion von Stücken sichtbar wurden. Die Größe der Architektur - so dachte sich mancher - sagt noch nicht viel darüber aus, ob die Szene vor Ort tatsächlich lebendig ist. Diese Einsicht wurde eindrucksvoll unterstrichen durch die Wahl des Quartiers. Der Landschaftspark in Duisburg-Meiderich, ein ehemaliges Hüttenwerk, steht imposant beleuchtet als Denkmal da. Wo früher Kohle und Stahl produziert wurde, treffen heute Skater und Kletterer auf TV-Teams und Kulturreisende, die je auf ihre Weise Gebrauch machen vom pittoresken Industriedenkmal.Vom Hochofen herab blickt man in ein erstaunlich grünes aber doch heimgesuchtes Ruhrgebiet - einige Schlote rauchten noch aber die Hochzeit der Montanindustrie, sie ist eindeutig vorbei.
Natürlich setzen sich die Studenten auch mit verschiedene Theaterformen auseinander und lernten ganz unterschiedliche Inszenierungsstile kennen. Das reichte von der eher schwer zugänglichen Arbeit des Tänzers Raimund Hoghe am Tanzhaus NRW in Düsseldorf über die eher unterhaltsame Arbeit "Der goldene Drache" am Theater Krefeld bis hin zur Woyzeck-Inszenierung am Theater an der Ruhr in Mühlheim. In Mühlheim etwa wurde ersichtlich, wie die Idee des Künstlertheaters wie sie Craig, Reinhart oder Stanislawski einst propagierten, in anderer Form fortbesteht. In einem langen Gespräch mit den Schauspielern Rupert J. Seidl, Dagmar Geppert, der Dramaturgin Sandra Höhne und dem Regisseur Roberto Ciulli lernten die Studierenden eine ganz anderen Zugang zum Theater kennen. Theater wurde hier in besonderer Weise gelebt und kann sich trotz fehlender Infrastruktur und jenseits marktkonformen Kulturmanagement eine internationale Reputation erwirtschaften.
Ganz anders etwa die Situation am bekannten Stadttheater in Bochum. Hier wurde im Gespräch mit dem Intendanten Anselm Weber schnell deutlich, gegen welche Abstriche und mit welchen listigen Strategien ein Haus wie Bochum überhaupt weiter produzieren kann. "Zunächst einmal ist dies ein Betrieb mit 300 Angestellten und für die muss ich als Chef sorgen." so Weber nüchtern. Dann erläuterte er das Theatermanagement am Beispiel der Spielplangestaltung, sprach vom Weihnachtsstück, der internationalen Produktion, dem Repertoirestück für das Abo etc. Abends sahen die Studierenden dann die "Medea" - inszeniert vom tunesischen Regisseur Fadhel Jaibi, ein Künstler, der nach dem arabischen Frühling plötzlich sehr gefragt war. Wie lange dauert das an, fragte mancher sich. Die Schauspielerin Nadja Robiné berichtete von ihrer Rollenarbeit, ihrem Wunsch, der Medeafigur etwas eigenes mitzugeben, was nicht ganz den Gendervorstellungen Jaibis entsprach. Und dann plötzlich und en passant sagte sie, dass diese Arbeit schon sehr intensiv gewesen sei, weil man doch mehrere Monate Probenzeit gehabt habe - ganz in Gegensatz zu den üblichen sechs Wochen und den Spielverpflichtungen. Hier wurde er wieder deutlich, der Theaterapparat, der zunächst einmal am Laufen gehalten werden muss, damit überhaupt ein Spielraum für künstlerischer Freiheit entsteht. Mancher Student kam ins Grübeln was den Berufswunsch 'Theater' betrifft. So war diese Exkursion gewissermaßen ein Praxischeck, der Lust auf Mehr machte und die Koordinaten der eigenen Theaterarbeit in Bayreuth in ein neues Verhältnis setzte.